Mehr verflüssigtes Erdgas macht Heizen teurer

Die letzte direkte Pipelineverbindung zwischen Mitteleuropa und Russland wird demnächst gekappt

Frankfurt am Main. Es ist eine Veränderung, die historische Dimensionen hat. Die letzte direkte Gas-Pipeline zwischen Mitteleuropa und Russland wird gekappt. Es handelt sich um die Transgas-Trasse, eine Rohrleitung, die quer durch die Ukraine verläuft und das in Sibirien und Zentralasien geförderte Methan nach Ungarn und in die Slowakei pumpt. Noch, denn ein Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine läuft mit dem Jahreswechsel aus und wird mit größter Wahrscheinlichkeit wegen des Krieges nicht mehr verlängert.

Unter Experten werden deshalb in diesen Tagen Weltkarten mit vielen Pfeilen herumgereicht. Sie sollen zeigen, wie die Transportströme nach dem Jahreswechsel umgeleitet werden könnten. Es kursieren verschiedene Szenarien, doch egal, welches am Ende eintritt: Für Verbraucher und Firmen in Deutschland steigt das Risiko für Preiserhöhungen.

Die Ouvertüre für das Zudrehen des Gashahns wurde bereits gegeben: Mitte November bestätigte der österreichische Energiekonzern OMV, dass aufgrund eines Rechtsstreits mit dem russischen Staatskonzern Gazprom die Lieferungen von russischem Erdgas über die Slowakei in die Alpenrepublik „planmäßig“ auf null heruntergeschraubt worden seien.

Angst vor einem kalten Wohnzimmer muss in Österreich dennoch niemand haben. Die unterirdischen Gasspeicher sind randvoll, die OMV organisiert Alternativen, ist unter anderem an einem Terminal für verflüssigtes Gas (LNG) in Rotterdam beteiligt und hat diverse Vereinbarungen für die Durchleitung von Erdgas geschlossen.

Das Modell Österreich könnte zum Vorbild für die ganz große Rotation im globalen Erdgasgeschäft werden, bei der ebenfalls LNG die Hauptrolle spielen würde. So gehen die Experten des Beratungsunternehmens Aurora Energy davon aus, dass demnächst LNG-Spezialschiffe aus den USA das verflüssigte Erdgas in rauen Mengen in Europa anlanden werden. Den neu gebauten Terminals an den deutschen Küsten würde dann eine Schlüsselrolle zukommen. Das hat mit der günstigen geographischen Lage Deutschlands und großen Kapazitätsreserven zu tun. Um insgesamt rund 100 Millionen Megawattstunden (MWh) könnten die US-Lieferungen den Szenarien zufolge bereits im nächsten Jahr gesteigert werden – etwa 13 Prozent des deutschen Verbrauchs.

Auch politisch spräche einiges dafür. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bereits für stärkere LNG-Importe aus den Vereinigten Staaten stark gemacht hat – wohl auch, um den künftigen Präsidenten Donald Trump wohlwollend zu stimmen.

Hinzu kämen, so der Aurora-Experte Arturo Regalado, verstärkte LNG-Geschäfte der Europäer mit Nordafrika. Zugleich werde Russland nach alternativen Routen suchen, um Erdgas weiterhin auf dem Alten Kontinent verkaufen zu können – etwa mittels der Turkstream-Pipeline, die von Russland in die Türkei führt. Von dort könne das Gas weiter in südosteuropäische EU-Länder transportiert werden.

Zum großen Ringtausch gehört auch, dass erheblich weniger US-LNG nach Asien gelangt und dass viele asiatische Länder sich stattdessen mit Methan aus Australien und von der arabischen Halbinsel versorgen müssen. Aber vor allem werde sich China künftig über die beiden Pipelines „Power of Siberia“ 1 und 2 verstärkt mit – mutmaßlich preiswertem – russischem Methan versorgen. Die Volksrepublik werde deshalb der Hauptprofiteur in der globalen Erdgas-Rotation.

Für Europa bedeute all dies, „stärkere Preisschwankungen auf kurze Frist“, so Regalado. LNG ist enger mit dem globalen Markt verknüpft als Pipelinegas, da die Spezialschiffe dorthin dirigiert werden können, wo gerade die höchsten Preise gezahlt werden. Was das konkret bedeutet, lässt sich bereits jetzt an aktuellen Großhandelspreisen ablesen. Ende voriger Woche kletterte die maßgebliche Notierung für den europäischen Markt mit gut 48 Euro pro Megawattstunde auf einem Jahreshöchstwert, sie liegt aktuell knapp darunter. Händler gehen davon aus, dass neben dem kühlen Wetter die Eskalation im Ukrainekrieg die Preise hochtreibt. „Das fragile Marktgleichgewicht bedeutet, dass externe Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Preise haben werden“, so Torgrim Reitan vom norwegischen Energiekonzern Equinor in einem Interview mit Bloomberg TV.

Unter Rohstoffhändlern laufen bereits zahlreiche Wetten auf ungewöhnlich hohe Preise fürs Frühjahr 2025, wenn sich die unterirdischen Gasspeicher leeren und Vorräte nachgekauft werden müssen. Ganz abgesehen davon, dass ein höherer LNG-Anteil im Gasmarkt per se Aufschläge provoziert, da die Kosten für den Transport höher sind als bei Pipelinegas. Hinzu kommen das aufwendige Verflüssigen und Regasifizieren des Brennstoffs, wofür viel Strom benötigt wird.

All diese Faktoren führen nach Einschätzung von Experten dazu, dass die regionalen Gas-Versorger ihre Beschaffungs- und Preisstrategien überdenken werden. Wegen der stärkeren Preisschwankungen müssen größere Puffer bei der Berechnung der Tarife für private Haushalte und Firmen eingebaut werden. Was letztlich bedeutet: höhere Kosten fürs Heizen.



Quellenangabe: Gelnhäuser Neue Zeitung vom 28.11.2024, Seite 6